Friedensburg-Oberschule Berlin: Europa als Wert : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Friedensburg-Oberschule, eine Sekundarschule mit gymnasialer Oberstufe im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, hat sich als Europa-Schule und gebundene Ganztagsschule einen guten Ruf in Berlin erarbeitet und ist als Schulgemeinschaft zusammengewachsen.

Friedensburg-Oberschule
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Seit zwölf Jahren ist die Friedensburg-Oberschule im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf eine Staatliche Europa-Schule. Werte, darunter europäische Werte, haben daher für die Schule eine besondere Relevanz, im tagtäglichen Miteinander der 1.100 Schülerinnen und Schüler wie im Wirken nach außen. Nicht nur die meisten Schülerinnen und Schüler, sondern auch rund ein Drittel der Lehrerinnen und Lehrer haben hier einen „Migrationshintergrund“. Das Schulmotto lautet: „Vielfalt ist für uns ein Gewinn.“

Die Berliner Staatlichen Europa-Schulen (SESB) stellen für international ausgerichtete Berliner Familien und für Familien mit unterschiedlicher Migrationsgeschichte ein besonderes Angebot dar. Kinder, die zu Hause nur Deutsch sprechen, sind hier in der absoluten Minderheit. Die seit 2014 laufende Evaluation der 30 Europa-Schulen hat diesen 2016 viele „Bildungsvorteile“ bescheinigt, nicht nur in der Fremdsprachenkompetenz, sondern sogar in der Deutsch-Lesefähigkeit und besonders in der Integration.

Der 13. Jahrgang besucht das EU-Parlament in Brüssel
Der 13. Jahrgang besucht das EU-Parlament in Brüssel © Friedensburg-Oberschule

Schulleiter Sven Zimmerschied war vor kurzem auf einer Diskussionsveranstaltung zum Thema Migration, die „nicht so ganz angenehm“ verlaufen sei. „Dort habe ich den Anwesenden gesagt, dass sie zu uns kommen sollen, um sich vor Ort ein Bild zu machen, dass das Zusammenleben so vieler verschiedener Nationalitäten funktioniert.“

Für Europa eintreten

Die Einführung der Europa-Schule ging seinerzeit mit der Reaktivierung des nur noch auf dem Papier stehenden Ganztagsangebots einher. Die Friedensburg-Oberschule wollte in der Berliner Schullandschaft ein neues Profil entwickeln und nicht zuletzt den durch Gewaltvorfälle ramponierten Ruf korrigieren. Das hat funktioniert. 2015 wurde die Schule für den Deutschen Schulpreis nominiert. Auf dem Schreibtisch des Schulleiters liegt jede Woche ein großer Packen von Lehrerbewerbungen. Die achtzügige Gesamtschule mit gebundenem Ganztag und gymnasialer Oberstufe ist heute stark nachgefragt, sowohl in den vier Regelklassen als auch den vier Europaklassen mit ihrem bilingualen Unterricht Deutsch-Spanisch, die unter anderem Seiteneinsteiger aufnehmen.

Die Europa-Schule arbeitet eng mit der Spanischen Botschaft und mit dem Instituto Cervantes, dem spanischen Kulturinstitut in Berlin-Mitte, zusammen. Sie hält Kontakt zu Deutschen Auslandsschulen in Lateinamerika und zum Colegio Alemán in Sevilla. Am EU-Projekttag 2014 tagte sogar die Staatssekretärskonferenz des Berliner Senats in der Schule, und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel war vor einigen Jahren zu Gast.

In den aktuell für Europa nicht einfachen Zeiten wollen die Schülerinnen und Schüler der Friedensburg-Oberschule „politischer werden“, wie es der Schulleiter ausdrückt. Für die kommende Europawoche im Mai könnten die Jugendlichen zum Beispiel eine Fahrraddemonstration pro Europa veranstalten. Die Planungen laufen, genauso wie die Arbeit an einem Gesamtkonzept, das „die europäische Dimension in unserer Schule“ noch stärker sichtbar machen soll, wie Sven Zimmerschied erklärt. „Uns ist wichtig, dass sich die gesamte Schule als Europa-Schule und auch als Gemeinschaft versteht, die die europäischen Werte teilt.“

„Tür- und Angelgespräche funktionieren hier nicht“

Sportplatz
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Was die Schulorganisation betrifft, hat sich die Friedensburg-Oberschule in den letzten zwölf Jahren ebenfalls verändert. „Vor 2007 funktionierte unsere Schule in der Summe nicht, und es waren viele unzufrieden. Die äußere Leistungsdifferenzierung bereits nach den Herbstferien und das Fachraumprinzip rissen die Klassen auseinander und ließen kein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen“, erinnert sich Sven Zimmerschied. Jetzt gilt das Klassenraumprinzip, und die Jahrgänge sind auf einem Flur untergebracht. Jedem Jahrgang ist ein fester Jahrgangslehrer zugeordnet, der für die Jugendlichen in den Jahrgangsbüros erreichbar ist. Diese Anlaufstellen befinden sich jeweils ebenso auf dem Flur wie der Jahrgangsraum, der für Gespräche und Kleingruppenarbeiten genutzt werden kann. „Für 1.100 Schüler kann ich als Lehrerteam keine Verantwortung übernehmen, für 200 schon“, sagt der Schulleiter. "Es sind echte Klassen- und Jahrgangsgemeinschaften entstanden."

„Wir sind eine große Schule, da muss man sich gut organisieren. Tür- und Angelgespräche funktionieren hier nicht.“ Das Führungsteam aus 20 Personen setzt Themen, die die verschiedenen Gremien und Arbeitsgruppen aufgreifen und bei Bedarf erweitern. Durch einen fünfwöchigen Konferenzzyklus sind alle eingebunden. „Dort wird dann konkret gearbeitet, was letztlich immer Zeit spart“, so Sven Zimmerschied. Befragungen zeigten, dass Eltern, Lehrkräfte und Schüler zufrieden sind.

Zur Internationalität auch, dass die Friedensburg-Oberschule, die schon immer eine sogenannte Zuwanderungsklasse hatte, derzeit vier Willkommensklassen hat, aus denen die Schülerinnen und Schüler individuell in die Regelklassen wechseln. Für Jugendliche, bei denen ein Schulabschluss in herkömmlicher Unterrichtsform unrealistisch ist, hat die Schule eine abschluss- und praxisorientierte Lernklasse gebildet, die frühzeitig den Kontakt mit potentiellen Arbeitgebern herstellt. Wie überhaupt die Berufsorientierung an der Friedensburg-Oberschule stark ausgeprägt ist. In Klasse 7 wählen die Schülerinnen und Schüler aus Wahlpflichtfächern aus: eine zweite Fremdsprache, eine Naturwissenschaft oder das Fach Wirtschaft, Arbeit, Technik (WAT) mit dem Schwerpunkt auf der Arbeit in verschiedenen Werkstätten.

Berufsorientierung: „Schülerfirmen light“

Zugleich entscheiden sich die Jugendlichen für Berufsorientierende Projekte (BoP). In zwei mal zwei Wochenstunden setzen sie sich – entweder im musisch-künstlerischen oder im naturwissenschaftlich-informationstechnischen Profil – zwei Jahre lang mit den jeweiligen fachlichen und berufsorientierenden Inhalten auseinander. Ziel ist es, Dienstleistungen und Produkte zu entwickeln. Das sei quasi eine „Schülerfirma light“, wie es der Schulleiter ausdrückt.

Friedensburg-Oberschule
Konzert Schloss Charlottenburg © Friedensburg-Oberschule

„Das ist kein Unterricht, aber die Produkte werden benotet“, so Sven Zimmerschied. „Es können ganz unterschiedliche Sachen dabei rauskommen: Hochbeete im Schulgarten oder selbst hergestelltes Parfüm.“ Ein Ergebnis ist auch das jährliche Schuljahresabschlusskonzert, bei dem alle sieben Musikensembles der Schule auftreten und das von Schülerinnen und Schülern ausgerichtet wird – mit der ganzen Logistik, Einladungsflyern und Moderation der Veranstaltung. „Ich bin bei diesem Schulfest immer ganz ergriffen, wenn da 90 Schülerinnen und Schüler richtig Power auf die Bühne bringen.“

Als MINT-freundliche Schule bietet die Friedensburg-Oberschule alle naturwissenschaftlichen Fächer, die mit fünf beziehungsweise ab der 9. Klasse mit sechs Wochenstunden erteilt werden, in der Oberstufe als Leistungskurse an. Wer dann noch BOP im naturwissenschaftlichen Bereich wählt, kann in der 7. und 8. Klasse auf zehn naturwissenschaftliche Wochenstunden kommen. Neben sehr aktiven Schülerinnen und Schülern bei „Jugend forscht“ gibt es an der Schule auch Notebook-Klassen, die den Computer als selbstverständliches Arbeitsgerät einsetzen.

Ganztag im Netzwerk

Die Schule arbeitet an vier Tagen der Woche von 8 bis 16 Uhr im gebundenen Ganztag. Diese Organisationsform hat die Arbeitsweise der Lehrkräfte nicht nur zeitlich verändert. „Früher hat man sich alleine auf den Unterricht vorbereitet“, erinnert sich der Schulleiter. „Nach und nach haben wir hier gelernt, uns gegenseitig auszutauschen, und das stark weiterentwickelt. Heute bereiten zum Beispiel die Mathematiklehrer eines Jahrgangs den Unterricht zusammen vor. Ich selbst arbeite nur noch in der Schule und empfehle es auch allen Kolleginnen und Kollegen.“ Jeder Lehrer und jede Lehrerin hat an der Schule einen Arbeitsplatz.

Die Schülerinnen und Schüler erledigen in Lernzeiten selbstverantwortlich ihre Aufgaben. Außerdem gibt es spezielle Förderangebote. Derzeit wird ein Vorschlag diskutiert, dass nur noch die Hauptfächer und die Berufsorientierenden Projekte Hausaufgaben stellen dürfen. Ebenfalls auf dem Tisch liegt ein Vorschlag, der sich aus dem letzten Studientag mit dem etwas provokanten Titel „Unterricht in der 8. Klasse ist eigentlich sinnlos“ ergeben hat: Ein Drittel des Unterrichts soll nun als Projektlernen organisiert werden. Ebenso finden kollegiale Hospitationen als wichtiges Instrument der Unterrichtsentwicklung statt.

Rund 20 Arbeitsgemeinschaften stehen am Nachmittag zur Auswahl. Sie werden von Lehrkräften angeboten, „die für ihr Angebot bei den Schülerinnen und Schülern werben müssen“, so der Schulleiter. Denn die Teilnahme an den AGs ist freiwillig. „Selbst in einer gebundenen Ganztagsschule muss es Bereiche geben, die den Jugendlichen freigestellt sind. Sie können bis 18 Uhr hier auf dem Gelände bleiben, um zum Beispiel Fußball zu spielen, was auch viele machen.“ Die Schule möchte künftig stärker Eltern und auch Schülerinnen und Schüler gewinnen, eine Arbeitsgemeinschaft anzubieten.

„Lernen von / mit / für einander“ ist ein weiteres Motto der Ganztagsschule. Das gilt auch für Arbeit der Friedensburg-Oberschule in zahlreichen Netzwerken wie dem Berliner Ganztagsschulnetzwerk „GINKGO!“, dem Sekundarschulnetzwerk "Schulen für alle", in Erasmus+-Projekten oder dem Netzwerk der „Kulturagenten für kreative Schulen“. Schon länger ist die Schule im Netzwerk "Lernen im Ganztag" der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung aktiv und arbeitet mit der Deutschen Schulakademie zusammen, jetzt ist sie auch im neuen Netzwerk „LiGa – Lernen im Ganztag“ vertreten. Der Schulleiter ist überzeugt: „Viele Kontakte zu knüpfen, auch bundesweit, das ist die Zukunft.“

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