Die singende Ganztagsschule in Altona-Nord : Datum: Autor: Autor/in: Claudia Pittelkow

Im ehemaligen Arbeiterviertel inmitten aufgehübschter Plattenbauten punktet die Kurt-Tucholsky-Schule als Kulturschule mit einem jungen Team und der Vernetzung im Stadtteil.

Es ist viertel nach zwölf, die Mittagspause ist fast vorüber. In der sonnendurchfluteten Mensa der Kurt-Tucholsky-Schule (KTS) beginnen bereits ein paar Schüler damit, die Tische abzuwischen. „Das ist unser Schülerdienst“, erklärt Lehrerin Kathrin Warneke. Bei diesem besonderen Dienst verpflichten sich die Schülerinnen und Schüler freiwillig für einen längeren Zeitraum, in der Kantine für eine angenehme Atmosphäre zu sorgen.

Sie kümmern sich um die nötige Ruhe während des Essens und machen am Ende der Mittagspause klar Schiff: Tische säubern, Boden fegen und Stühle hochstellen. Die Schüler lernen auf diese Weise, Verantwortung zu übernehmen, aber auch, sich gegen lärmende Mitschüler durchzusetzen. Eigenständiges und eigenverantwortliches Lernen gehören zu den Grundpfeilern der Altonaer Ganztagsschule. Warneke: „Dieses Engagement kommt natürlich auch ins Zeugnis.“

Lange Mittagspause zum Regenerieren

Die lange Mittagspause von 11.30 bis 12.20 Uhr ist ein wichtiger Bestandteil der teilgebundenen Ganztagsschule, in der alle Schüler der Jahrgänge 5 bis 8 an drei Tagen in der Woche auch am Nachmittag verpflichtende Angebote wahrnehmen. Für die Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 9 und 10 ist der Ganztag dagegen noch offen, das heißt, sie können an den Angeboten teilnehmen, müssen aber nicht. In der 50-minütigen Mittagspause haben die Schüler Gelegenheit, in Ruhe zu essen, sich zu erholen, zu spielen, zu klönen und neue Kräfte zu sammeln für die folgende Unterrichtszeit.

Mensa
Die Schülerinnen und Schüler haben 50 Minuten Zeit für ihr Mittagessen © Claudia Pittelkow

Mehr als 100 Schüler essen täglich in der Schulmensa, größtenteils Fünft- und Sechstklässler. „Die Älteren holen sich lieber einen Börek im Kiosk nebenan“, so Warneke. Das Mensaessen wird vom Caterer in Warmhalteboxen angeliefert. Zur Auswahl stehen zwei Gerichte, ein vegetarisches und ein Fleisch- oder Fischgericht, dazu gibt es frischen Salat. Beschwerden über das Angebot gibt es an der KTS so gut wie nie. Warneke: „Das Essen hat eine gute Akzeptanz.“

Vom Aufbaugymnasium zur Stadtteilschule

Die in den 1970er Jahren gegründete Schule in der Eckernförder Straße war ursprünglich ein Aufbaugymnasium. Hierher konnten gute Schülerinnen und Schüler aus Hauptschule oder Realschule wechseln, um das Abitur zu erwerben. Schon damals war das Kurt-Tucholsky-Gymnasium – davor hieß es Gymnasium Bahrenfeld – eine Ganztagsschule offener Prägung. 2010 wurde im Rahmen der Schulreform aus dem Aufbaugymnasium eine Stadtteilschule mit gymnasialer Oberstufe. Vier Jahre später wurde der offene in einen teilgebundenen Ganztagsbetrieb umgewandelt.

„Eigentlich ist es eher eine Neugründung“, sagt Schulleiterin Andrea Lüdtke. Denn die KTS geht nicht – wie viele andere Hamburger Stadtteilschulen – aus einer ehemaligen Grund-, Haupt- und Realschule oder Gesamtschule hervor, sondern wurde quasi völlig neu zusammengesetzt. Seit knapp einem Jahr leitet Andrea Lüdtke die KTS, davor sammelte sie Erfahrungen an der Stadtteilschule Blankenese. Sie weiß: „Nachmittagsunterricht ist immer eine Herausforderung.“

Teilgebundener Ganztag passt am besten

Für einen funktionierenden Ganztagsbetrieb ist Ganztagskoordinator Frank Stuhlmacher in Zusammenarbeit mit einer Kollegin verantwortlich. Der Pädagoge mit dem verschmitzten Lächeln kennt sein Metier aus dem Effeff – und weiß um die vielfältigen Möglichkeiten. „Es gibt so viele unterschiedliche Formen des Ganztags, da muss jede Schule für sich gucken, was passt“, so Stuhlmacher. Er selbst habe viele Anregungen von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ bekommen und empfiehlt das Netzwerk Ganztagskoordination.

An der KTS hat man sich für die teilgebundene Form entschieden, da so eine Verzahnung von Vor- und Nachmittag möglich ist. Die Unterrichts- und Pausenzeiten sind auf die langen Schultage abgestimmt, der Unterricht erfolgt in Doppelstunden. Lernen, Arbeiten, Spielen und Ausruhen folgen so aufeinander, dass sich für den Schulalltag eine gute Rhythmisierung ergibt. „Glückliche Schüler ergeben glückliche Lehrer“, findet Frank Stuhlmacher.

Kulturschule: Singen verbindet

Die KTS ist eine von sieben Hamburger Kulturschulen. Jede Kulturschule hat ein konkretes Projekt, das sie in besonderem Maß entwickelt und pflegt – die KTS versteht sich als „singende Schule“. Gesungen werde im Schulchor, im Unterricht oder auch einfach mal spontan in den Pausen. „Fast alle unsere Schüler singen gerne“, sagt Sozialpädagogin Victoria Coombs.

Jeder Schüler hat eine Liedermappe mit Stücken von Klassik bis Pop, aus der täglich am Anfang der ersten Stunde ein oder zwei Lieder gesungen werden. Das Gesangsprojekt ist 2012 im Jahrgang 5 gestartet und mittlerweile bis zum 8. Jahrgang hochgewachsen. Der Schulchor gibt regelmäßig schulinterne Konzerte und kooperiert mit dem erfolgreichen Hamburger Musikprojekt „The Young ClassX“. Seit Anfang 2015 arbeitet die Schule außerdem mit der weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Hip-Hop-Academy Hamburg zusammen.

Kooperationspartner sind alte Bekannte

Die Eckernförder Straße, an deren Ende die Schule liegt, ist mit ihren Plattenbauten aus den 1970er Jahren zwar keine Prachtstraße, doch das Viertel wurde in den letzten Jahren verschönert. Es punktet heute mit Buntheit, Multikulti und einem riesigen Freizeitangebot. In dem ehemals „roten“ Arbeiterbezirk Altona-Nord gebe es eine Fülle von Angeboten, vor allem auch solche, „die nicht nach Schule riechen“, sagt Ganztagskoordinator Frank Stuhlmacher.

„Wir sind hier in einer geradezu luxuriösen Situation“, so der Lehrer. „Die Schüler kennen die Kooperationspartner von klein auf, entsprechend gut klappt die Anbindung an die Schule.“ Nur ein paar Minuten zu Fuß sind es bis zum Jugendtreff Altona Nord, zum Jugendcafé (Juca) Altona-Altstadt, zur Pestalozzi Stiftung oder zum Aktivspielplatz, dem „Baui“. Schulleiterin Andrea Lüdtke weiß, wie wichtig eine solche Vernetzung ist. „Man ist quasi Teil des Stadtteils, die Lebenswelten Schule und Freizeit sind bei uns nicht getrennt“, erklärt sie. „Das ist gelebte Stadtteilschule.“

Als Knirps zum „Baui“ – und als Schüler auch

Ein gutes Beispiel dafür ist der „Baui“. Auf dem Aktivspielplatz mit Fahrradwerkstatt und Baui-Restaurant können die Kinder und Jugendlichen aus dem Viertel täglich spielen, bauen, werken, kochen, basteln und Räder reparieren. „Seit der Einführung des Ganztags hat sich viel geändert“, berichtet Sozialpädagoge Stefan Daum. Neue Schulkurse seien hinzugekommen, etwa „Chill dich schlau“ für die Sechstklässler oder das „Restaurant Baui“ für die Jahrgänge 7 und 8.

Selbstorganisierte Lernprozesse sind angesagt: Schülerinnen der 7. Klasse wollen heute Kartoffeln mit Backfisch zubereiten – ohne Jungs, die toben im Raum nebenan. „Getrennt klappt das besser“, erzählt Ceyda (13), „dann gibt es auch keinen Streit.“ Die Mädchen schälen Kartoffeln und beraten, wie der Fisch zubereitet wird. Gegessen wird später gemeinsam mit den Jungen. Viele Schüler, die hier einen Nachmittagskurs belegen, haben schon als Vorschulkinder auf dem Baui gespielt. Kein Wunder also, dass die Baui-Kurse zu den beliebtesten Kursen der Schule gehören.

Junges Kollegium + üppiges Kursangebot = Erfolgsrezept

79 Lehrkräfte und sechs Sozialpädagogen kümmern sich um die knapp 700 Schülerinnen und Schüler der KTS. Das Kollegium ist jung und engagiert – eine optimale Voraussetzung auch für den Ganztag. Viele Lehrkräfte bieten neben ihrem Unterricht ganz selbstverständlich Ganztagskurse an. Vom Gärtnern im Schulgarten über Arabisch für Anfänger bis zum Filmclub ist alles dabei.

Toben
Gehört zum Schulalltag dazu: Toben © Claudia Pittelkow

Auch die Pausenzeiten im Ganztag spielen eine wichtige Rolle. Victoria Coombs: „Die täglichen zwei Stunden Pause müssen gefüllt werden.“ Seit fünf Jahren kümmern sich die Sozialpädagogen der KTS darum, dass die Kinder und Jugendlichen die 120 Minuten sinnvoll verbringen. Während es die jüngeren Schüler meist in den Spieleraum zieht, verbringen die Älteren ihre Pause am liebsten im Chillraum, auf einem der zehn Sofas einfach zum Chillen und Klönen oder bei Gesellschaftsspielen am Tisch. Außerdem können sich die Schüler im Billardraum, im Jugendclub oder auf dem Fußball- und Basketballplatz aufhalten. „Die Pause ist eine der Aufgaben von Sozialpädagogen im Ganztag und eine wichtige Zeit, um die Schüler auch außerhalb des Unterrichts zu erleben“, so Coombs.

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