Qualitätsdialog: „Zusammenarbeit“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Im „Wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialog zum Ganztag“ kamen erneut Forschung, Verwaltung und Praxis an einen virtuellen Tisch. Diesmal ging es um die für den Ganztag unverzichtbare Zusammenarbeit.

Friedenauer Gemeinschaftsschule
© Friedenauer Gemeinschaftsschule

Diesen Mitarbeiter hätte wohl jeder gerne: Pelle wird von den Schülerinnen und Schülern der Grundstufe der Friedenauer Gemeinschaftsschule ins Vertrauen gezogen. Er besitzt seinen eigenen Briefkasten, in den die Schülerinnen und Schüler ihre „Post an Pelle“ einwerfen können, und kommuniziert unter eigener Rubrik auf der Internetseite der Ganztagsbetreuung der Gemeinschaftsschule. Und das Beste für seine „Chefin“ Juliane Winkler, die Leiterin der Ganztagsbetreuung, ist, wie sie lachend erzählt: „Ich muss Pelle überhaupt nichts bezahlen.“

Das erklärt sich dadurch, dass der 65 Zentimeter große Kerl mit dem Wuschelkopf und den blauen Augen – eine Puppe ist! Aber nichtsdestoweniger ein wichtiges „Mitglied“ des insgesamt 38 Köpfe zählenden Teams der Ganztagsbetreuung. Inmitten der Erzieherinnen und Erzieher, Sozialpädagoginnen und -pädagogen, Erlebnis- und Medienpädagogen erfüllt Pelle eine wichtige, niedrigschwellige Funktion in der Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern. Und ist ein sehr pflegeleichter „Kollege“.

Wechselseitige Anerkennung und Respekt

Denn ansonsten „kann es auch mal krachen, das gehört dazu“, meint Juliane Winkler. Aber das ist im Bezirk Tempelhof-Schöneberg selten der Fall. Hier hat sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der Friedenauer Gemeinschaftsschule und dem Nachbarschaftsheim Schöneberg als Träger des Ganztags etabliert, die dem Ideal einer „Lerngemeinschaft“ nahe kommt. Juliane Winkler war mit ihrem Kooperationsbeispiel daher auch zusammen mit Dr. Christine Steiner vom Deutschen Jugendinstitut als Expertin beim Wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialog „Zusammenarbeit“ des DIPF I Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation am 1. April 2021 vertreten. Rund 70 Interessierte hatten sich online eingefunden.

Wenn es immer wieder heißt, dass es die unterschiedlichen Professionen im Ganztag schwer miteinander haben, weil, wie es Christine Steiner formulierte, „die Diskussion um die wechselseitige Anerkennung und den Respekt im Ganztagsschuldiskurs verbreitet ist“, so kann zumindest Juliane Winkler das für ihren Standort nicht bestätigen: „Wir mögen aneinander, dass wir so unterschiedlich sind. Wir haben es geschafft, eine gute Balance miteinander zu finden. Und wenn wir von Schule sprechen, meinen wir uns alle.“

Mit ursächlich für diese positive Entwicklung ist Juliane Winkler zufolge die Position der Schulleitung, die eine „entscheidende Stellschraube“ sei. Sie habe das Glück, dass sie mit Schulleiter Uwe Runkel und Grundstufenleiter Axel Junker „gut kann“. Aber das ist natürlich nicht nur Glück. „Die gute Zusammenarbeit haben wir uns erarbeitet, auch weil wir kompromissbereit sind“. Dem gesamten Team kommt zupass, dass die Leiterin des Ganztags – so ist es in Berlin vorgeschrieben – automatisch Mitglied der Schulleitung ist.

Sich regelmäßig zusammensetzen

Plakat
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Die enge Zusammenarbeit zwischen den Lehrkräften und den Fachkräften greift auf allen Ebenen: Jede Klassenleiterin bildet mit einer Erzieherin ein Duo, in den Jahrgangsstufen 1 bis 3 kann es auch mit zwei Erzieherinnen ein Trio sein. Diese beraten sich in wöchentlichen gemeinsamen Teamsitzungen, die seit Jahren fest verankert sind.

Die organisatorischen Herausforderungen bestehen laut Juliane Winkler bei so vielen Mitarbeitenden auch innerhalb ihres Teams beim Freien Träger. „Eine unserer Teamsitzungen in der Woche befasst sich deshalb ausschließlich mit organisatorischen Fragen, eine andere mit qualitativen Themen. Dort reflektieren wir uns selbstkritisch und erörtern Ideen, die wir verstärkt verfolgen wollen.“

Für die Leiterin der Ganztagsbetreuung wird Kooperation immer dann „spannend, wenn es weh tut und man Hilfe braucht“. Vor drei Jahren haben Schule und Ganztagsbetreuung das sogenannte Fallteam gegründet, das einmal im Monat zwei Stunden am Vormittag tagt. Schulleitung und Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher, Sozialpädagoginnen und -pädagogen und auch eine externe Fachkraft der Erziehungs- und Familienberatungsstelle setzen sich dann zusammen, wenn es um einzelne „Fälle“ geht und Probleme zu lösen sind.

„Das Fallteam hat uns sehr voran gebracht“, meint die Ganztagsleiterin. „Hier nutzen wir die Ressourcen unserer unterschiedlichen pädagogischen Sichtweisen. Wir überlegen zusammen, was dem Einzelnen jetzt helfen würde, wie wir eine Beziehung aufbauen, ob und wie wir mit den Eltern reden. Jeder fragt sich: Was kann ich aus meiner Rolle heraus ganz konkret einbringen? Wir staunen immer selbst über die vielen Ideen, die da zusammenkommen. So wächst das Vertrauen in unsere Kooperation.“ Erleichtert wird dies durch Arbeitszeitmodelle, die den Einsatz der außerschulischen Fachkräfte am Vormittag ermöglichen.

„Kooperationen brauchen Brückenbauerinnen und Brückenbauer“

Dr. Christine Steiner beleuchtete das Thema Zusammenarbeit als Sozialwissenschaftlerin, unter anderem mit Ergebnissen aus dem StEG-Systemmonitoring 2019. Für sie erfüllt das Beispiel der Friedenauer Gemeinschaftsschule schon die „bessere strukturelle Absicherung des Ganztags durch Standards und Arbeitszeitmodelle‟. Der Ganztag sei „eine Koordinationsherausforderung“, betonte sie.

Malen
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„Diese Kooperationen brauchen Brückenbauerinnen und Brückenbauer, nicht nur auf der Ebene der Leitungen.“ Wichtig seien die gemeinsame Konzept- und Programmarbeit, in der gemeinsame Werte und Normen festgehalten werden. Die Kooperation sollte im Schulprogramm verankert sein. Auch kontinuierliche Beziehungsarbeit sei notwendig, die wiederum werde durch die Verbindung von Unterricht und Angeboten gefördert. Informelle Austauschgelegenheiten sind dabei ebenso wichtig wie formale Arbeitsformen.

„Interdisziplinäre Kooperation und multiprofessionelle Teams sind eines der innovativen Elemente der Ganztagsschule“, führte Christine Steiner aus. „Damit verbindet man auch eine Verbesserung der pädagogischen Arbeit und die Chance, Schülerinnen und Schüler besser fördern zu können. Kooperationen führen zudem oft zu einem breiteren Ganztagsangebot und zu neuen pädagogischen Ideen. Optimal ist es schließlich, wenn die Zusammenarbeit für alle die Arbeitsbelastung reduziert.“

Lerngemeinschaften und Bildungsarenen

In der zweiten Hälfte des Qualitätsdialogs vertieften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sowohl aus Kommunalverwaltungen, einzelnen Ganztagsschulen und Freien Trägern als auch aus Bildungsministerien der Länder und Universitäten in die Veranstaltung fanden, die in den Eingangsreferaten und der anschließenden Fragerunde diskutierten Aspekte.

Eine Arbeitsgruppe besprach beispielsweise die Voraussetzungen für eine „Stabile und verbindliche Zusammenarbeit“. Ein Teilnehmer aus Hessen fasste anschließend zusammen: „Gut wäre ein gemeinsames Stimmrecht in allen Gremien wie zum Beispiel der Schulkonferenz. Hilfreich ist die grundsätzliche Klärung der gemeinsamen Verantwortung für den Ganztag.“ Es brauche aber auch ausreichende Stundenkontingente für den multiprofessionellen Austausch. Dieser sollte, so das Fazit des Workshops, „nicht nur in der Schule, sondern auch in den Kommunen und auf Landesebene stattfinden‟. Generell sollten alle Beteiligten „vom Kind aus denken“.

Schulgarten
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Für die Arbeitsgruppe „Lerngemeinschaft“ berichtete eine Teilnehmerin aus Baden-Württemberg. Auch hier ging es um „Zeiten für den Austausch“. Darüber hinaus müssten gemeinsame Fortbildungen in Tandems von Schule und Jugendhilfe ermöglicht werden. Schließlich sei die konzeptionelle Zusammenarbeit wichtig: „Hilfreich sind schriftlich formulierte Konzeptionen, an denen man kontinuierlich arbeiten kann.“

Um „Bildungslandschaften“ ging es in der dritten Arbeitsgruppe. Diese hielt es für „wünschenswert, dass die unterschiedlichen Bildungsinstitutionen in einer Kommune ein Leitbild für organisationsübergreifende Kooperationen erarbeiten“. Zu dieser Kooperation zählte sie auch Eltern und Ehrenamtliche. „Ein entscheidendes Qualitätskriterium des Ganztags ist die Sichtweise der Kinder und Jugendlichen“, so eine Teilnehmerin aus Niedersachsen.

In der Arbeitsgruppe „Bildungsarenen“ ging es noch einmal um die Notwendigkeit einer transparenten Kommunikation auf allen Ebenen und die gleichberechtigte Stimmvertretung in Gremien. Eine Teilnehmerin aus Rheinland-Pfalz ergänzte, dass das auch für die Schülerinnen und Schüler gelte: „Der Ganztag muss auch die Demokratieerziehung unterstützen.“

Für die Leiterin der Ganztagsbetreuung Juliane Winkler steht nach dem Sommer ein spannender Wechsel an, wie sie am Ende der Veranstaltung verriet. Nach sieben Jahren beim Freien Träger wird sie im kommenden Schuljahr als Lehrerin an die Friedenauer Gemeinschaftsschule wechseln. „Wenn man von außen immer neunmalklug alles besser wusste, was alles fehlt und wie alles sein sollte, bin ich sehr gespannt, wie sich das an meiner neuen Stelle anfühlen wird.“

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