JvFG Cham: Im Ganztag zu den Sternen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Das Joseph-von-Fraunhofer-Gymnasium in Cham, MINT-EC-Schule mit eindrucksvoller Sternwarte auf dem Dach, hat nicht nur Naturwissenschaftliches zu bieten, ob im gebundenen oder offenen Ganztag.

Gebäude Cham
Landkreis „in der Mitte Europas“ © Joseph-von-Fraunhofer-Gymnasium Cham

Nicht überall ist das Gymnasium ein Selbstläufer wie in großen Städten. Anderswo gibt es auch immer noch eine „weitverbreitete Demut und einen Respekt vorm Gymnasium“, sagt Schulleiter Uwe Mißlinger. Sigrid Schiedermeier, die stellvertretende Schulleiterin, hört „in 60 Prozent der Gespräche mit Eltern die ängstliche Frage: Wird mein Kind das hier auch schaffen?“ Und hat darauf eine Antwort: „Diese Sorgen können wir den Eltern nehmen.“

Ein ganz wesentlicher Faktor ist – ausgerechnet, möchte man beinahe sagen – die Ganztagsschule. Hatte doch der Ganztag in der Region noch lange ein schlechtes Image, wie Sigrid Schiedermeier berichtet: „Das Wort Rabenmutter habe ich x-fach gehört. Doch das hat sich geändert. Die Ganztagsschule ist gesellschaftsfähig geworden, könnte man sagen.“ Sinnbildlich dafür stehe eine Mutter, die ihr Kind erst nicht im Ganztag anmelden wollte und ein paar Wochen später auf einem Elternabend dafür warb.

Das Joseph-von-Fraunhofer-Gymnasium in der Kreisstadt Cham im gleichnamigen Landkreis der Oberpfalz befindet sich im östlichsten Landkreis von Bayern unweit der Grenze zur Tschechischen Republik. Mit deren Beitritt zur Europäischen Union 2004 änderte sich seine Lage gewaltig: Jetzt liegt der Landkreis „in der Mitte Europas“ und gehört mit österreichischen und tschechischen Regionen zur „Europaregion Donau-Moldau“. In den letzten Jahren ist hier, zum Beispiel mit dem Technologie-Campus Cham, ein dynamischer Wirtschaftsstandort entstanden, in dem Themen wie Klimaschutz und regionale Energieversorgung eine wichtige Rolle spielen. 2015 erhielt der Landkreis das Qualitätssiegel „Bildungsregion in Bayern“. Er wirbt mit dem Slogan „Beste Aussichten“.

Werben für den Ganztag

Das Fraunhofer-Gymnasium, kurz „JvFG“ genannt, wirbt auch um seine Schülerinnen und Schüler. Und das heißt beispielsweise Eltern überzeugen, die skeptisch gegenüber der Schulform Gymnasium sind. Schulleiter Uwe Mißlinger ist sich bewusst: „Die Eltern vertrauen uns ihre Kinder an, und wir werden täglich daran gemessen, wie wir den Kindern und Jugendlichen gerecht werden. Wenn etwas nicht funktioniert, werde ich beim Metzger sofort darauf angesprochen. Daher will ich, dass wir liefern. Und im Ganztag liefern wir wirklich. Bei uns gibt es keinen Dienst nach Vorschrift.“ 

Turnhalle
„Täglich den Kindern und Jugendlichen gerecht werden“ © Joseph-von-Fraunhofer-Gymnasium Cham

130 Einzelführungen durchs riesige Schulgebäude gibt es jährlich. Das Fraunhofer-Gymnasium stellt sein Ganztagsangebot ganz offensiv heraus. Etwa mit dem Lockvogel: „Von der Schule heimkommen und keine schriftlichen Hausaufgaben?“ 2020 wurden sowohl Eltern als auch Schülerinnen und Schüler der Ganztagsklasse interviewt. Sie berichten auf der Homepage der Schule von ihren Erfahrungen. Es gibt sogar einen Film über die Ganztagsklassen. Das pädagogische Konzept und der Tagesablauf werden detailliert dargestellt.

Seit dem Schuljahr 2011/2012 gibt es gebundene Ganztagsklassen am JvFG, momentan vier in den Jahrgangsstufen 5 und 6 mit insgesamt 66 Schülerinnen und Schülern. Lehrerin Sigrid Schiedermeier übernahm 2011 die Leitung des gebundenen Ganztags. Bis heute ist sie Ganztagskoordinatorin geblieben und zieht nach zehn Jahren eine zufriedene Bilanz: „Wir sind stolz, dass sich das bei uns so etabliert hat, nicht zuletzt, weil wir von guter Mundpropaganda profitieren.“

Flexible Wahl wirkt wie Freizeit

Der Stundenplan der Ganztagsklassen ist an vier Wochentagen über den ganzen Tag rhythmisiert, einschließlich Zeit zum gemeinsamen Mittagessen, Lern- und Arbeitszeiten und Freizeitangeboten. Dem Mittagessen um 12.15 Uhr folgt ab 12.45 Uhr schon ein erstes dreiviertelstündiges AG-Angebot aus den Bereichen Sport, Spiel und Freizeitraum. Das Angebot reicht von Basketball über Bouldern an der schuleigenen Boulder-Wand bis zu Karten- und Brettspielen. „Jetzt kommen diese Spiele wieder, und wir wollen da Impulse setzen“, berichtet die Ganztagskoordinatorin. 

Und die Schülerinnen und Schüler empfinden es jetzt auch wirklich als Freizeit. „Der Trick war, den Kindern eine vollkommen flexible Wahl am jeweiligen Tag zu ermöglichen“, begründet das Sigrid Schiedermeier. „Während sie das vorher, als sie sich längerfristig festlegen sollten, wie einen weiteren Stundenplan empfanden, sagen sie jetzt, dass es für sie etwas Anderes als Schule ist, eben mehr Freizeit. Sie sehen es als einen von der Schule organisierten Tag zum Spielen.“ 

Schulleiter Mißlinger freut sich, dass inzwischen selbst „Medienjunkies“ das Spielen entdeckt haben: Tischtennis, Kicker, Airhockey. „Hier lernen manche Kinder und Jugendlichen endlich mal andere Freizeitangebote kennen.“ Eine Schülerin aus dem Landkreis erklärt das auch so: „Du kannst bei uns im Dorf nichts mehr machen. Ich will hier mit meinen Freunden spielen.“ Für Sigrid Schiedermeier ist es kein Zufall, dass viele Einzelkinder in den Ganztagsklassen angemeldet werden. Umso wichtiger ist den Lehrerinnen und Lehrern, die Sozial- und Teamkompetenz der Schülerinnen und Schüler im Blick zu haben, sei es durch gemeinsame Unternehmungen und gemeinsam gestaltete Freizeit oder auch durch gezieltes soziales Kompetenztraining.

„Echtes Pfund“: Wahlunterricht und AG-Angebot

An jedem Mittwoch finden ab 14.45 Uhr der Wahlunterricht und AGs statt. 32 „Wahlfächer“ stehen zur Auswahl, „das ist ein echtes Pfund“. Schulleiter Uwe Mißlinger sieht darin „ein vielfältiges und hochwertiges Angebot, das wohl nur wenige andere Schulen so anbieten können“. Und in der Tat: Darunter sind so exklusive Angebote wie das Bogenschießen, das Stephan Magerl aus dem Ganztagsteam anbietet. Magerl ist ausgebildeter C-Sporttrainer für Bogensport, Kinder- und Jugendcoach und auch noch Naturpädagoge. Oder das Karate-Training von Trainer Andreas Scherpf. 

Schulleitung
Das Schulleitungsteam © Joseph-von-Fraunhofer-Gymnasium Cham

Schachmeister Max Riedl, ein ehemaliger Schüler des JvFG, leitet in Kooperation mit dem SC Furth im Wald/Waldmünchen und dem SC Cham die Schachgruppe. Die Mannschaft im Stockschießen, unterstützt vom FC Untertraubenbach, ist regelmäßig bei der Bayerischen Schulmeisterschaft erfolgreich. Mit dem Deutschen Alpenverein und Sponsoren konnten 17 Mountainbikes für die Mountainbiking-AG angeschafft werden. Das Gymnasium hat eine Fußballklasse, auch wenn diese unter Anleitung von Lorenz Kowalski und Max Drexler in den letzten Monaten oft zu Hause trainieren musste. 

Für den Handball setzen sich am Vormittag Englischlehrer Michael Holz und am Nachmittag Französischlehrerin Susanne Weber mit C-Lizenz Leistungshandball ein. „Ästhetik und Sportlichkeit“ stehen im Zentrum der Rhythmischen Sportgymnastik, die Vereinstrainerin Rita Wutz vom ASV Cham anbietet. In mehreren Sportarten ist das Fraunhofer-Gymnasium „anerkannte staatliche Stützpunktschule“ in Bayern, das heißt die Sportvereine bieten auch Talentförderung und leistungssportliches Training an. 

„Zu den Sternen“ mit 150-mm-Objektiv

Der Musikbereich bietet ein ähnlich üppiges Programm, seitdem das „Mathematisch-naturwissenschaftliche Gymnasium mit neusprachlichem Zweig“ 2004 erstmals einen „Musischen Zweig“ beantragt hatte: Juniorband, Jazzband, Volksmusik, gleich drei Chöre, Bläserklasse, Blasorchester und „Junge Streicher“. Im Bereich „Kreatives“ gibt es Theater, Holzarbeiten, Kochen, Textverarbeitung oder die „Woidkids“, die den Nachmittag im Wald verbringen. Auch Engagement im Ehrenamt bei den Schülerlotsen und beim Schulsanitätsdienst steht zur Wahl, zudem können die Schülerinnen und Schüler auch einen Erste-Hilfe-Kurs belegen. Ein neuerer Baustein ist seit 2018 das engagierte „JvFGreenTeam“, die Schüler-AG für Nachhaltigkeit und Umwelt, die mit Aktionen zu Ernährung, verantwortungsvollem Konsum und Fairem Handel auf sich aufmerksam macht.

Wie an einer MINT-EC-Schule nicht anders zu erwarten, gibt es besonders attraktive Angebote in den Bereichen Naturwissenschaften und Mathematik: Von Kursen in Chemie, Elektronik und Programmieren bis zum sehr beliebten Erfinderclub „Nussknacker“. Selbst der Umgang mit der CNC-Fräse (Computerized Numerical Control) kann gelernt werden. 

Teleskop
Die „Sterngucker“ auf dem Dach des Schulgebäudes © Joseph-von-Fraunhofer-Gymnasium Cham

Ein echter Clou sind die „Sterngucker“, die dem Namensgeber der Schule Joseph von Fraunhofer alle Ehre machen: Auf dem Dach des Schulgebäudes steht seit 1974 eine schuleigene Sternwarte mit Fernrohr – heute mit einem lichtstarken Carl-Zeiss-APQ-Triplet-Apochromat Refraktor mit 150-mm-Objektiv und einer Brennweite von 1.200 mm. Durch die angeschlossene Videokamera können Bilder direkt in den angrenzenden Musikpavillon auf eine Leinwand übertragen werden.

Die Schülerinnen und Schüler erhalten Grundkenntnisse im Fach Astronomie, bauen astronomische Hilfsmittel wie drehbare Sternkarten, Sternzeituhren und Modelle und erstellen selbstständig Beobachtungsreihen. Die „Sternnächte‟ am JvFG sind ebenso Attraktionen wie die in der Sternwarte veranstalteten Lesenächte. Der Förderverein „Freunde des Joseph-von-Fraunhofer-Gymnasiums“, der auch Träger des Ganztags ist, lädt zu wissenschaftlichen Vorträgen ein, etwa des Astrophysikers Andreas Burkert von der Ludwig-Maximilians-Universität München, der schon über „Schwarze Löcher“ oder den „geheimnisvollen Mond“ referiert hat.

„Unbezahlbarer Mehrwert für die ganze Schulgemeinschaft“

Von 15.30 Uhr bis 16.15 Uhr besuchen die Schülerinnen und Schüler der gebundenen Ganztagsklasse entweder die Lernzeit, in der sie in Stillarbeit ihre Aufgaben erledigen, oder das Lernbüro, in dem sie mit Fachlehrern und Fachlehrerinnen arbeiten, zum Beispiel, um „Stoff“ zu vertiefen. Wer möchte, kann anschließend noch bis 17 Uhr den Tag im Freizeit- oder Ruheraum ausklingen lassen. Schriftliche Hausaufgaben fallen unter der Woche weg.

Am Joseph-von-Fraunhofer-Gymnasium gibt es außerdem bereits seit dem Schuljahr 2009/2010 die offene Ganztagsschule für Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 bis 10. Diese gehen jeweils um 13 Uhr gemeinsam in die Mensa zum Mittagessen. In drei Gruppen folgen Arbeitsphasen wie die 75 Minuten lange Hausaufgabenbetreuung und Spiel- und Bewegungsphasen. Derzeit nehmen 84 der 857 Schülerinnen und Schülern am offenen Ganztag teil.

„In der offenen Ganztagsschule haben wir tolles Fachpersonal, und in den Ganztagsklassen auch am Nachmittag Fachlehrerinnen und Fachlehrer“, erläutert Schulleiter Uwe Mißlinger. Für die Kolleginnen und Kollegen ist das eine Bereicherung, dass sie die Schülerinnen und Schüler in den AGs und Wahlfächern anders erleben. „Das bringt auch sie weiter, wenn sie direkt sehen, wie ein Schüler mit den Aufgaben zurechtkommt oder auch nicht zurechtkommt.“ Die Kunst, einen guten Ganztag zu gestalten, ist dem Schulleiter zufolge insbesondere, „zu erkennen, wofür die Kolleginnen und Kollegen brennen“.

Boulderwand
Bouldern an der schuleigenen Boulder-Wand © Joseph-von-Fraunhofer-Gymnasiums Cham

Das ist auch die Erfahrung von Sigrid Schiedermeier: „Was mit Leidenschaft und Herzblut gemacht wird, das klappt. Beispielsweise merken bei unseren Frühjahr- und Weihnachtskonzerten alle, wie viele Stunden zusätzliche Arbeit dort aufgewendet wurden. Das ist mit Geld gar nicht aufzuwiegen, das ist ein unbezahlbarer Mehrwert – für die Schülerinnen und Schüler und die ganze Schulgemeinschaft.“ Das „eingeschränkte Sichtfeld“ werde durch die Kooperation mit den außerschulischen Fachkräften „geweitet“. „Unser externes Personal ist auch bei den Teamsitzungen der Lehrkräfte dabei. Die bringen eine ganz andere Perspektive ein.“ 

Die Schule hat daraus regelmäßige Feedback-Gespräche mit den außerschulischen Partnern entwickelt, deren Ergebnisse schriftlich festgehalten werden. „Das ist so gewinnbringend, da kommen so viele verschiedene Aspekte hoch, dass es den Aufwand lohnt“, so Sigrid Schiedermeier. Die Schule müsse sich öffnen für das, „was es draußen in der Welt gibt, was die Schülerinnen und Schüler weiterbringen kann, die immer im Mittelpunkt stehen müssen“.

Die Brücke

Aus dem Alltag des Ganztagsgymnasiums nicht mehr wegzudenken sind etwa die FSJler, die am Fraunhofer-Gymnasium „im Dauereinsatz“ seien, wie Schulleiter Mißlinger es formuliert. Max Drexler, Student der Sportökonomie, steht einem sechsköpfigen Team vor und ist selbst bei den Sportangeboten und in der Hausaufgabenbetreuung im Einsatz. „Hier bekomme ich einmalige Einblicke“, freut er sich. Aber die FSJler hätten auch viel zu bieten: „Jeder bringt neue Ideen und Fähigkeiten ein.“

Uwe Mißlinger bilanziert: „Die Ganztagsschule gibt der Schulfamilie viel, sie bereichert und ist ja schon selbst ein kleiner Betrieb geworden, bei dem wir fast alles selber stemmen. Wir arbeiten immer mit offenem Visier und beziehen alle mit ein. Stagnieren ist für uns schon die Maximalniederlage, wir sind selbst unsere ärgsten Kritiker.“ Man befinde sich ständig im „KVP“, in einem „kontinuierlichen Verbesserungsprozess“, fasst der Schulleiter schmunzelnd zusammen.

Oben die Sterne und unten die Stars. Auch für Cineasten ist das Joseph-von-Fraunhofer-Gymnasium einen Besuch wert. In Cham, an der ehemaligen Florian-Geyer-Brücke und auch in dem Schulgebäude aus dem Jahr 1926 fanden 1959 die Dreharbeiten für den vielfach preisgekrönten und Oscar-nominierten „Die Brücke“ (Regie: Bernhard Wicki) statt. Eine Dauerausstellung im Keller des Gymnasiums erinnert daran.

Eine Brücke im Geist des Antikriegsfilms schlagen auch die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Engagement, sei es bei der Teilnahme am Wettbewerb „Jugend debattiert“, bei Aktionen am Tag der Menschenrechte, als die AG „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ ein Banner gegen Rassismus und Rechtsextremismus in der Schule befestigte, oder mit dem Kunstwettbewerb „Buttons gegen Rassismus“ 2020.

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