Wege und Ideen zur Qualität im Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Wer ein Menü, gefüllt mit Erkenntnissen und Weiterentwicklungsperspektiven aus 15 Jahren StEG-Ganztagsschulforschung genießen wollte, war bei der Transfertagung „GTS-Bilanz: Qualität für den Ganztag“ an der richtigen Adresse.

Seit Beginn des Jahres 2021 hatte das DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation sechs Qualitätsdialoge durchgeführt und damit Bildungsverwaltung, Forschung und Bildungspraxis zusammengebracht. Daraus hervorgegangen sind Broschüren zu sechs Handlungsfeldern. Sie bündeln die Erkenntnisse und münden in Empfehlungen für die Praxis. Enthalten sind darin nicht zuletzt Ergebnisse des Transferprojekts „GTS-Bilanz: Qualität für den Ganztag. Weiterentwicklungsperspektiven aus 15 Jahren StEG-Ganztagsschulforschung“.

Brandneu hinzugekommen ist auch eine „GTS-Bilanzbroschüre“. Ihren Zweck unterstrich Ministerialdirigent Dr. Stefan Luther, Leiter der Unterabteilung „Allgemeine Bildung“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in seinen Begrüßungsworten am Veranstaltungstag: „Sie ist ja praktisch noch warm. Doch aus den Ländern habe ich bereits als Echo große Begeisterung gehört. Diese Broschüre soll und kann der Praxis Impulse geben.“ Zuvor hatte er eine historische Bilanz der Ganztagsschulentwicklung gezogen, aber auch den Bogen zu den aktuellen Herausforderungen geschlagen.

Luther berichtete von der Phase kurz vor der Bundestagswahl. Manch einer habe die Sorge gehabt, dass das „Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter“ die Ziellinie nicht mehr erreiche. „Dass so etwas mitten im Wahlkampf noch gelingt, habe ich noch nicht erlebt. Wir sind froh, dass es geklappt hat.“ Die Herausforderung sei nun in Ländern und Kommunen, ausreichend fachlich qualifiziertes Personal zu finden und die Qualität der Angebote zu sichern. Mit dem Wort „Qualität“ gab Luther das Stichwort, das sich wie ein roter Faden durch die Fachtagung ziehen sollte. Prof. Dr. Kai Maaz, Direktor der Abteilung „Struktur und Steuerung des Bildungswesens“ am DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation und zugleich dessen geschäftsführender Direktor, ergänzte: „Die Herausforderungen rund um das Thema Schule waren wohl noch nie so groß wie heute.“

Ergebnisse der Ganztagsschulforschung im Überblick

Lehrkräfte und pädagogisches Personal brauchen Kooperationszeiten.
Lehrkräfte und pädagogisches Personal brauchen Kooperationszeiten. © Britta Hüning

Zwischen fünf Workshops zu Übersichten der Ganztagsschulforschung galt es anschließend für die mehr als 200 Teilnehmenden an der Online-Tagung zu wählen. Als Erkenntnisse durften sie unter anderem mitnehmen, dass die Teilnahme an Ganztagsangeboten noch nicht automatisch zu einer Steigerung der Schulleistungen führt. Katrin Heyl von der Universität Kassel und Amelie Hirsch von der Pädagogischen Hochschule Freiburg konnten aber berichten, dass auch vor dem Hintergrund der deutsch- und englischsprachigen Forschung klar die Qualität des Angebots entscheidend sei.

Ein didaktisch qualitätsvolles Leseförderangebot beispielsweise könne laut den Forschungsergebnissen der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen – StEG“ dazu beitragen, dass die daran teilnehmenden Schülerinnen und Schüler eine fast doppelt so hohe Lesekompetenz als ihre Mitschülerinnen und -schüler erreichten. In wieweit eine kompensatorische Wirkung eintrete, sei schwer zu beantworten.

Spannend war auch der Bericht, wie Lehrkräfte von den Lernenden eingeschätzt werden, wenn sie sich in außerunterrichtlichen Situationen begegnen. Karsten Wutschka und Katrin Pfaff von der Technischen Universität Dortmund referierten, dass die Lehrkräfte im Ganztag als deutlich humorvoller und zugleich als Ansprechpartnerinnen und -partner „für alles“ wertgeschätzt würden. Zudem herrsche aus Sicht der Schülerinnen und Schüler im Nachmittagsbereich eine bessere Fehlerkultur. Und: Lernende verstünden im Nachmittagsbereich schwierige Aufgaben deutlich schneller.

Herausgegriffen aus den weiteren Workshops („Außerschulische Akteure im Ganztag/Multiprofessionelle Kooperation im Ganztag“) seien noch die Tipps für eine erfolgreiche Verzahnung von Unterricht und Angeboten. Johanna M. Gaiser von der Justus-Liebig-Universität Gießen nannte dazu unter anderem: die Erarbeitung eines gemeinsamen pädagogischen Konzeptes, offizielle Kooperationszeiten für Lehrkräfte und das weitere pädagogische Personal, Gespräche und eine enge Kooperation der Schulleitung mit den pädagogischen Fachkräften, gegenseitige Hospitationen, die Mitarbeit von Lehrkräften in den Ganztagsangeboten sowie gemeinsame Fortbildungen.

Forschung und Praxis

Eine interessante und gut gelöste Methode fand das Veranstaltungsteam, um die Ergebnisse der sechs Handlungsfelder des vom BMBF geförderten „Wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialogs zum Ganztag“ zu präsentieren. Unter dem Titel „Posterforum“ hatten Amina Kielblock, Nora Wazinski und Julia Karl (alle DIPF) in rund dreiminütigen Videos die wichtigsten Erkenntnisse zu den Themen „Ganztag erfolgreich steuern“, „Ein nachhaltiges Gesamtkonzept planen“, „Zusammenarbeit im Ganztag stärken“, „Positive soziale Beziehungen fördern“, „Angebote gut durchführen“ und „Erfolgreiche Angebotskonzepte entwickeln“ zusammengetragen.

Die Besonderheit: Sie beinhalteten neben den Forschungsergebnissen stets auch ein Beispiel aus der Praxis. Etwa das der Grundschule auf dem Süsteresch in Schüttorf (Niedersachsen). Die dort tätige Lehrerin Lena Hornbostel stellte die erfolgreiche Entwicklung eines Angebotskonzepts vor: „Unsere Ganztagsangebote sind in ein besonderes Raumkonzept eingebettet. Lernateliers als vorbereitete, organisierte und gut strukturierte Lernumgebungen ermöglichen dem Team, auf die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler einzugehen.“

„Häufig unterstützen sich die Kinder gegenseitig“
„Häufig unterstützen sich die Kinder gegenseitig“ © Britta Hüning

Dank der Teilnahme an einem Erasmus+-Projekt und des Engagements einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnte die Schule zusätzlich einen „Lego-Raum“ einrichten und gut ausstatten. Eine Arbeitsgruppe entwickelte dazu Lernmaterialien, die sich am Kenntnis- und Entwicklungsstand der Kinder orientierten. So haben die Kinder nun die Wahl, welche Art von Robotern sie bauen. Dabei können sie auf speziell auf ihren Entwicklungsstand abgestimmte Auftragskarten zurückgreifen und individuelle Aufgaben bearbeiten. „Häufig unterstützen sich die Kinder dabei gegenseitig“, so Lena Hornbostel.

Was StEG verrät

Fast anderthalb Jahrzehnte, von 2005 bis 2019, begleitete StEG die Entwicklung von Ganztagsschulen in Deutschland. Dr. Brigitte Brisson, wissenschaftliche Mitarbeiterin und seit Mai Koordinatorin des Projekts „Qualität für den Ganztag“ (GTS-Bilanz) am DIPF, gab dem Tagungspublikum eine „Orientierungshilfe“ zu den unterschiedlichen Forschungsansätzen und ‑erkenntnissen: „Eine hohe Qualität und eine regelmäßige Teilnahme an Ganztagsangeboten kann positive Effekte haben. Eine Leistungssteigerung tritt unter anderem ein, wenn die Angebote die Interessen der Schülerinnen und Schüler treffen.“

In fünf sich anschließenden Einzelvorträgen vertieften Amelie Hirsch (PH Freiburg), Bettina Arnoldt (DJI München), Karsten Wutschka (TU Dortmund), Katrin Heyl (Uni Kassel) und Johanna M. Gaiser (JLU Gießen) die Analysen. Stellvertretend sei hier auf die Effekte von „Peer Mentoring“ aus Sicht der Mentorinnen und Mentoren, also der älteren Schülerinnen und Schüler  eingegangen: An fünf Gesamtschulen in Hessen wurden drei Jahre lang (2016 bis 2019) jeweils unterschiedlich konzipierte Programme unter die Lupe genommen.

Immer ging es darum, Fünftklässlerinnen und -klässlern den Übergang zur weiterführenden Schule zu erleichtern. Untersucht wurde in diesem Fall die Wirkung auf die „Mentorinnen und Mentoren“. Ergebnis: Die positiven Auswirkungen auf deren Wohlbefinden in der Schule, die Beziehung zu jüngeren Schülerinnen und Schülern sowie die eigene Handlungswirksamkeit hielten sich in überschaubarem Rahmen. In der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion kamen eine Teilnehmende und Katrin Heyl zu dem Resultat: „Die größte Motivation der Mentorinnen und Mentoren hilft nichts, wenn sie auf ihre Aufgabe nicht entsprechend vorbereitet und vor allem dabei begleitet werden.“ Durchaus als Tipp für die Schulen durfte die Aussage gewertet werden: „Es wird mitunter zu viel geschaut, was so ein Angebot den Jüngeren bringt.“

Bessere Vorbereitung der Kernprofessionen

Mit der Frage, wie sich die Qualität an Ganztagsschulen weiterentwickeln kann, beschäftigte sich die Abschlussdiskussion der Transfertagung. Prof. Oliver Böhm-Kasper von der Universität Bielefeld, Erziehungswissenschaftler und selbst Ganztagsschulforscher im Projekt „Formen der Lehrerkooperation und Beanspruchungserleben an Ganztagsschulen“ riet unter anderem zu einer noch stärkeren Verzahnung von Vor- und Nachmittag: „In einer veränderten Zeitstruktur sollten die Schülerinnen und Schüler dort das aufgreifen und spielerisch umsetzen können, was sie morgens gelernt haben.“

Brandneu für die Praxis: „GTS-Bilanzbroschüre“
Brandneu für die Praxis: „GTS-Bilanzbroschüre“ © DIPF

Mit Blick auf die Kooperation des Personals zeigte sich Dr. Dirk Bange vom Amt für Familie bei der Behörde für Arbeit, Gesundheit Soziales, Familie und Integration in Hamburg), ebenfalls Erziehungswissenschaftler, überzeugt, dass ein produktives Miteinander auf Augenhöhe dann gelingen wird, wenn alle Beteiligten gleich ausgebildet sind. Eine wichtige Rolle für die Qualität des Ganztagsangebots spiele die Schulleitung: „Sie muss Enthusiasmus entwickeln.“ Was die Wirkungen des Ganztags auf die Schulleistungen betrifft, glaubt er: „Das ist noch Luft nach oben.“ Eine Voraussetzung für eine kontinuierliche Entwicklung der Qualität formulierte die ehemalige Referentin für Jugendhilfe in Schulen bei der Diakonie Deutschland Dr. Paula Döge: „eine bessere Vorbereitung der Kernprofessionen auf den Ganztag durch eine systematische Verankerung in ihren Ausbildungsgängen.“

Als Frau der Praxis fügte schließlich Eva Reiter, die Bundesvorsitzende des Ganztagsschulverbandes und Ganztagskoordinatorin an der Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg in Hamburg, hinzu: „In der Praxis beobachten wir schon, dass der Ganztag Einfluss auf den Lernerfolg und vieles andere hat.“ Entscheidend sind für sie unter anderem feste Bezugspersonen für die Schülerinnen und Schüler sowie – damit Oliver Böhm-Kasper bestätigend – die Verzahnung von Vor- und Nachmittagsangeboten.

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